Baufinanzierung widerrufen – A never ending story?
Falsche Widerrufsbelehrungen ersparten Kreditnehmern die Vorfälligkeitsentschädigung. Verbraucherschützer bejubelten das Urteil des BGH (Az. XI ZR 156/08), welches es Kreditnehmern bei Baufinanzierungen ermöglichte, auch Jahre nach Abschluss des Darlehens den Darlehensvertrag zu widerrufen.
- Bei Formfehlern im Kreditvertrag ist dieser angreifbar und kann widerrufen werden.
- Das kann auch den Anspruch der Bank auf Vorfälligkeitsentschädigungen zunichte machen.
- Dabei ist egal, um welche Kreditart es sich handelt.
- Für Kreditnehmer empfiehlt es sich daher, ihre Kreditverträge von einer unabhängigen Stelle prüfen zu lassen.
Die Betroffenen und ihre Chancen
Betroffen sind etwa 80 Prozent aller Darlehen, welche zwischen dem 1.11.2002 und dem 10.6.2010 abgeschlossen wurden. Dies ist umso brisanter, als das Zinsniveau in diesem Zeitraum deutlich über den Zinsen lag, die Immobilienerwerber heute für eine Finanzierung bezahlen müssen.
Banken müssen ihre Kunden darüber informieren, dass diese das grundsätzliche Recht haben, den Kreditvertrag innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen zu widerrufen. Ist diese Belehrung fehlerhaft oder weist Lücken auf, ist der Kreditvertrag angreifbar und kann jederzeit widerrufen werden.
Für die Kreditnehmer heißt das im Klartext, dass sie unter Umständen ohne eine Vorfälligkeitsentschädigung aus einem ehemals teuren Vertrag aussteigen können und neu finanzieren können. Es bedeutet aber noch mehr. Die Banken können dazu verurteilt werden, für die Zeit des rechtlich nicht haltbaren Kredites den Kunden eine Nutzungsentschädigung zahlen zu müssen.
Ein Formfehler, der nicht nur Geld spart, sondern auch noch Geld einbringt? Wir werden an anderer Stelle darauf eingehen und erklären, dass dies nicht zwingend der Fall sein muss.
Die Rechtsgrundlage
Dieser Sachverhalt ist umso amüsanter, als es eine Muster-Widerrufsbelehrung seitens des Ministeriums für Verbraucherschutz gibt, die durch einfaches Copy-Paste in die bestehenden Verträge hätte integriert werden können. Stattdessen verklausulierten die Kreditinstute die Widerrufsbelehrungen. Das Ergebnis sahen die Karlsruher Richter in ihrer Urteilsbegründung folgendermaßen:
„Die Bestimmung des § 14 BGB-InfoV greife zugunsten der Klägerin nicht ein, da die streitgegenständliche Widerrufsbelehrung nicht dem dort vorgegebenen Muster entsprochen habe. Die verwendete Belehrung könne aus Sicht eines durchschnittlichen rechtsunkundigen Verbrauchers unzutreffende Vorstellungen hervorrufen, da die Formulierung im ersten und dritten Satz, wonach das Widerrufsrecht „ausgeschlossen“ sei, den Eindruck erwecken könne, es gebe Fälle, in denen der Beklagte trotz wirksamen Widerrufs an den Darlehensvertrag gebunden sei. Die Belehrung sei auch unvollständig, da sie die Regelung des § 358 Abs. 5 BGB nicht beachte, wonach in Fällen, in denen – wie hier – ein verbundenes Geschäft vorliege, auch auf die Rechtsfolgen gemäß § 358 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB hingewiesen werden müsse.“
Baufinanzierung
Besonderes Gewicht hat dabei die Formulierung „aus Sicht eines durchschnittlichen rechtsunkundigen Verbrauchers“, die deutlich macht, dass die Kreditinstitute bei ihren Widerrufsbelehrungen möglicherweise die Unverständlichkeit mit Absicht herbeiführten.
Tatsache ist, dass Kreditnehmer, die in dem genannten Zeitraum eine Baufinanzierung unterzeichneten, diese genauestens auf den rechtlichen Bestand der Widerrufsbelehrung prüfen lassen sollten. Dies gilt auch, wenn die Finanzierung bereits beendet wurde. Das OLG Frankfurt hat mit Urteil vom Januar 2016 (Az.: 17 U 202/14) bestätigt, dass Darlehensnehmern auch für bereits zurückgeführte Darlehen eine Entschädigungszahlung zusteht.
Die Richter monierten in diesem Urteil, dass die Widerrufsbelehrung nicht explizit als solche erkenntlich war, im Fließtext des Gesamtvertrages unterging und lediglich der Passus „Ende der Widerrufsbelehrung“ andeutete, worum es sich im vorangegangenen Abschnitt handelte. Darüber hinaus handelte es sich bei dem erwähnten Passus um einen Formfehler, da der Gesetzgeber diesen nicht im Mustertext vorgesehen hat.
Wie ist das Vorgehen?
Die nachfolgende Grafik zeigt Ihnen, wie Sie bei einem optionalen Widerruf vorgehen und was Sie beachten müssen:
Die aus der Möglichkeit entstandene Klagewelle, durch eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung in ein Darlehen mit günstigeren Zinsen umschichten zu können, beschäftigt nicht nur die Banken nun nachhaltig.
Halten wir uns vor Augen, dass es hier um Milliardenzahlungen an Kompensation für die Kunden und ebenfalls Milliardenverluste für die Banken durch Verluste bei den Zinsmargen kommen kann. Lobbyarbeit war notwendig, um ein Debakel für die Banken für die Zukunft abzuwenden.
Anweisung von ganz oben
Frau Merkel selbst hatte sich im vergangenen Jahr dafür eingesetzt, eine Gesetzesänderung vorzunehmen. Das Vehikel dazu sollte die Umsetzung der Richtlinie über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher (Richtlinie 2014/17/EU) sein. Im Rahmen der Gesetzesvorlage wurde das Gesetz um einen Passus zur Widerrufsbelehrung erweitert, obwohl diese in keiner Weise Gegenstand des EU-Entwurfes war.
Natürlich war es nicht die Kanzlerin, die sich das ausgedacht hat, aber es ist ihre Aufgabe, Gesetzesvorlagen an den Präsident des Bundestages zum Zweck der Abstimmung weiterzuleiten. Die Frage bleibt, wer die Idee hatte.
Und hier tut sich ein Abgrund auf, der an Mehdorns Position im Fall von BER erinnert. Staatssekretär Gerd Billen aus dem Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz hatte vermutlich diese Idee und präsentierte sie auf einer Tagung des Sparkassenverbandes. Daran ist zunächst nichts auszusetzen, allerding war Herr Billen bis zu seiner Berufung in das BMJV im Jahr 2013 Vorstand des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen – oberster Verbraucherschützer. „Wess‘ Geld ich krieg, des Lied ich sing“ ….
Das Gesetz wurde im Oktober 2015 still und leise verabschiedet und tritt am 21.3.2016 in Kraft. In Bezug auf die Widerrufsbelehrung hat ein Verbraucher ab dann noch zwölf Monate Zeit, um einen Kreditvertrag aufgrund falscher Widerrufsbelehrung rückwirkend aufzulösen. Danach ist ein Widerruf generell nicht mehr möglich.
Die Argumentation der Befürworter der Gesetzesänderung zielte unter anderem darauf ab, dass die Mehrzahl der Verbraucher durchaus Kenntnis über das Widerrufsrecht besäße, Verbraucherinteressen nicht eingeschränkt würden und endlich eine Rechtsunsicherheit bei allen Beteiligten beseitigt wird.
Die einzige Unsicherheit, welche beseitigt wird, ist die der Kreditinstitute, die nach wie vor nicht wissen, in welchem Umfang noch Zahlungen auf sie zukommen. Immer wieder ist die Rede von der Macht der Banken – hier zeigt sie sich in vollem Umfang
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Lebenslanges Widerrufsrecht ausgehebelt
Mit diesem Gesetz umschifft der Gesetzgeber ein höchstrichterliches Urteil. Ebenso das an anderer Stelle zitierte Urteil des OLG Frankfurt, welches auch eine Entschädigungszahlung und rückwirkenden Widerruf für Baufinanzierungen zulässt, welche längst abgeschlossen sind.
Allerdings dürfen sich betroffene Immobilienerwerber nicht darauf ausruhen, dass sie noch unter die alte Rechtslage fallen und den Widerruf langsam und gemächlich angehen. Mitte März wird die neue gesetzliche Regelung greifen und auch auf die Kredite aus den Jahren 2002 bis 2010 Anwendung finden.
Um welche Summen geht es eigentlich?
Für den einzelnen Kreditnehmer kommt es natürlich auf die Höhe des Darlehens und den damals aktuellen Zinssatz an, zu dem er finanziert hat. Dies sind völlig individueelle Größenordnungen.
Weshalb die Banken jedoch ihre stille und leise Lobbyarbeit betrieben haben und der Bundestag die Gesetzesänderung ebenso leise durchgewunken hat, zeigt die folgende Tabelle mit den Kreditvolumina, welche „gefährdet“ sind:
Neugeschäft bei Wohnungsbaukrediten für private Haushalte | |||||
---|---|---|---|---|---|
(Alle Beträge in Millionen Euro) | |||||
Kreditvolumen bei Zinsbindungen von | |||||
Jahr | über 10 Jahre | 5 bis10 Jahre | 1 bis 5 Jahre | bis 1 Jahr | Ges.-Volumen |
2003 | 40.537 € | 72.243 € | 35.547 € | 27.332 € | 175.659 € |
2004 | 35.139 € | 57.753 € | 33.416 € | 29.061 € | 155.369 € |
2005 | 48.326 € | 66.347 € | 29.144 € | 27.915 € | 171.732 € |
2006 | 57.032 € | 73.334 € | 28.734 € | 29.055 € | 188.155 € |
2007 | 57.870 € | 69.254 € | 27.308 € | 27.342 € | 181.774 € |
2008 | 52.554 € | 67.612 € | 29.604 € | 26.626 € | 176.396 € |
2009 | 47.887 € | 77.773 € | 36.453 € | 33.089 € | 195.202 € |
2010 | 23.722 € | 69.363 € | 31.111 € | 31.294 € | 178.870 € |
Gesamt | 363.067 € | 553.679 € | 251.317 € | 231.714 € | 1.423.157 € |
Fehlerquote | 75% | 75% | 75% | 75% | 75% |
Gefährdete Kreditevolumen | 272.300 € | 415.259 € | 188.488 € | 173.786 € | 1.067.368 € |
(Quelle: Bundesbank, eigene Berechnungen)
Es darf aber nicht vergessen werden, dass sich hier Darlehen doppelt wiederfinden. Wurde im Jahr 2005 eine Zinsbindung von drei Jahren vereinbart, findet sich das Darlehen, sofern es nicht völlig getilgt war, in den Volumina des Jahres 2008 wider. Die Summe von über einer Billion Euro ist also nicht ganz stimmig, kann aber nicht genauer aufgesplittet werden.
Gleiches gilt auch für Kredite, die bereits widerrufen wurden und bis zum Jahr 2010 neu geordnet wurden.
Welche Brisanz jedoch in dieser Tabelle steckt, verdeutlicht eine Untersuchung der Verbraucherzentrale Sachsen. Diese hat seit April 2015 rund 2.500 Baufinanzierungsverträge geprüft und geht davon aus, dass rund 75 Prozent den rechtlichen Ansprüchen nicht genügen und angreifbar sind.
Gab es für die Banken keine Alternativen?
Die Kreditinstitute wussten sehr wohl, dass die Widerrufsbelehrungen nicht den Vorgaben des Gesetzgebers entsprachen. Die einfachste Lösung wäre es gewesen, die Kunden darauf hinzuweisen, dass hier ein Fehler unterlaufen sei, die neue Widerrufsbelehrung vorzulegen und fertig. Kaum ein Kunde wäre auf die Idee gekommen, hier zu klagen.
Nach dem gleichen Muster, einfach weiter machen, haben auch viele Institute nach dem Kippen der Kreditabschlussgebühr durch den BGH agiert. Nach wie vor fand sich in den Kreditverträgen eine Kreditabschlussgebühr und von zehn Kunden haben sie neun anstandslos gezahlt.
Dennoch fürchteten die Geldhäuser, dass der eine oder andere Kunde auf rückwirkende Auflösung der Baufinanzierung gepocht hätte. Anstelle in dem einen oder anderen Fall dem nachzukommen, war es eine Vogelstraußpolitik, die zur Anwendung kam. Dass damit am Ende des Tages eine Lawine losgetreten werden würde, welche die Banken und Sparkassen Milliarden kosten würde, hat wohl keiner der Beteiligten bedacht.
Gerichte steuern auch schon gegen
Sinn des Widerrufsrechtes ist es, eine möglicherweise überstürzte Entscheidung mit langjähriger vertraglicher Bindung rückgängig zu machen. Die Nutzung eines lange Zeit zurückliegenden Formfehlers des Vertragspartners entspricht nicht dem Sinn dieses Rechtes.
Einige Gerichte standen in der jüngsten Vergangenheit nicht auf der Seite der Verbraucherschützer und Darlehensnehmer. Die Argumentation ist durchaus einleuchtend. Was wäre, wenn die Zinsen in den Jahren 2002 bis 2010 historisch niedrig gewesen wären und heute ein deutlich höheres Niveau hätten? Kaum ein Kunde würde aufgrund einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung eine rückwirkende Abwicklung des Vertrages verlangen.
Das LG Frankfurt beispielsweise stellte ganz nüchtern fest, dass ein fehlerhaftes Widerrufrecht nicht dazu führen kann, von günstigeren Zinsen zu profitieren, nachdem der Kreditnehmer jahrelang stillschweigend seine Zinsen gezahlt hat (Az. 2-25 O 518/14). Das gleiche Landgericht führte in einem anderen Fall aus, dass ein Widerrufsrecht eine kurzfristige Lösung darstelle und nach Jahren der Darlehenslaufzeit hier keine Schutzbedürftigkeit mehr bestehe (Az. 2-21 O 253/14).
Einschränkung bei Erstattung von Verzugszinsen
Hinsichtlich der finanziellen Kompensation weicht das OLG Stuttgart (Az. 6 U 140/14) ebenfalls von der bisherigen Linie ab, um deutlich zu machen, dass eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung für den Kreditnehmer nicht zur Bereicherung herhalten darf.
So machte das OLG klar, dass eine Entschädigungszahlung nur auf die vom Kreditnehmer gezahlten Zinsen anfällt, nicht aber auf die erbrachte Tilgungsleistung, da diese dem Kreditnehmer ja zu Gute kommt. Darüber hinaus wurde der Zinssatz für die Kompensationszahlung mit 2,5 Prozent über dem jeweils gültigen Basiszinssatz festgelegt.
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