Das AnaCredit Projekt der EZB
Die EZB plante etwas ganz Großes abseits ihres verzweifelten Kampfes gegen die Konjunkturflaute in Europa. Im Jahr 2014 wurde das Projekt AnaCredit auf den Weg gebracht, im März 2018 begann die Realisierung. Kaum ein Verbraucher hat jedoch davon gehört und weiß, worum es bei diesem Projekt geht. Dabei betrifft es so ziemlich jeden Kreditnehmer direkt.
- AnaCredit steht für Analytical Credit Dataset.
- Im Rahmen von AnaCredit müssen seitens der kreditvergebenden Bank 88 einzelne Fragen zu jedem Darlehen beantwortet werden. Es handelt sich somit um eine umfassende Datensammlung.
- Nur im Fall von Einzelkaufleuten und privaten Haushalten erfolgt eine anonymisierte Datenübertragung. In allen anderen Fällen erfolgt die Meldung namentlich.
- Die Befürchtung, dass gläserne Kreditkunden geschaffen werden, ist unbegründet. Was die EZB interessiert, sind die Höhe des Kredites und die Begleitumstände, um daraus Prognosen ableiten zu können.
- Verbraucher „erleben“ AnaCredit lediglich indirekt durch die Politik der EZB und der Bundesbank, die sich teilweise aus den erfassten und ausgewerteten Daten ergibt.
Was ist AnaCredit und was bedeutet es für Verbraucher?
Das Analytical Credit Dataset, kurz AnaCredit, erinnert ein wenig an Facebook oder Google. Je mehr Informationen die beiden Internetriesen über ihren einzelnen Nutzer zur Verfügung haben, desto gezielter können sie personenoptimierte Werbung einspielen. Nun hat AnaCredit nichts mit Werbung zu tun, aber mit einer umfassenden Datensammlung über den jeweiligen Kreditnehmer und Kreditgeber.
Der Begriff für diese Form der detaillierten Information lautet „granulare Datensammlung“, da die Informationen zum einzelnen Darlehen so präzise aufgegliedert werden, dass die Daten wie Granulat anmuten.
Tatsache ist, dass im Rahmen von AnaCredit seitens der kreditvergebenden Bank 88 einzelne Fragen zu jedem Darlehen beantwortet werden müssen (ursprünglich 147 Attribute). Dabei unterscheidet die EZB jedoch bezüglich der Meldepflicht mit Bezug auf die Kreditvolumina. In folgenden Fällen muss eine Meldung erfolgen:
Individuell:
- Einzelkredite ab 25.000 Euro
- Nimmt ein Darlehensnehmer mehrere Kredite unter 25.000 Euro auf und übersteigen diese in der Summe die Grenze von 25.000 Euro, muss ebenfalls eine Meldung erfolgen.
- Ab 100 Euro bei leistungsgestörten oder wertgeminderten Krediten (notleidende Kredite)
Konsolidiert:
- 000 Euro, wenn das Institut in einem meldepflichtigen Mitgliedsstaat ansässig ist.
- 1 Million Euro, wenn das Institut nicht in einem meldepflichtigen Mitgliedsstaat ansässig ist.
- 100 Euro bei leistungsgestörten oder wertgeminderten Krediten (notleidende Kredite)
Unter individuellen Krediten versteht die EZB einzelne Kredite. Konsolidierte Kredite bezeichnen Darlehen, die generell mehrere Kredite zusammenfassen. Dies geschieht beispielsweise, um mehrere Darlehen mit höheren Zinsen durch ein Darlehen mit günstigerem Zinssatz abzulösen.
Als “leistungsgestörte“ oder „wertgeminderte“ Kredite werden solche Darlehen bezeichnet, deren Rückführung nicht ordnungsgemäß verlaufen ist.
Betroffen von dieser Regelung sind nicht nur Unternehmen oder Körperschaften des öffentlichen Rechts, sondern eben auch Privatpersonen. Die Darlehensaufnahme folgender Zielgruppen unterliegt der Meldepflicht:
- Banken und andere finanzielle Unternehmen
- Nicht-finanzielle Unternehmen
- Körperschaften
- Die öffentliche Hand
- Einzelkaufleute, dazu zählen auch Gewerbetreibende und Freiberufler
- Private Haushalte
Böse Zungen sprachen schon davon, dass die EZB mit AnaCredit der Schufa zeigen möchte, wie man wirklich Daten über Kreditnehmer sammelt. Von herausragender Bedeutung ist dabei, dass nur im Fall von Einzelkaufleuten und privaten Haushalten eine anonymisierte Datenübertragung erfolgt. In allen anderen Fällen erfolgt die Meldung namentlich.
Die Befürchtung, dass durch eine namentliche Meldung ein gläserner Kreditkunde geschaffen würde, ist unbegründet. Es interessiert die EZB nicht, ob Karl Müller einen Kredit aufnimmt. Die Informationen werden dazu aufwändig anonymisiert bevor sie verarbeitet werden. Was die EZB interessiert, sind die Höhe des Kredites und die Begleitumstände, um daraus Prognosen ableiten zu können.
Was ist meldepflichtig?
Meldepflichtig ist zunächst alles, was unter dem Oberbegriff „Kredit“ zusammengefasst wird. Dazu zählen aber auch
- Kreditlinien (z.B. eingeräumte Dispos oder Rahmenkredite)
- Garantien,
- Bürgschaften
- sowie alle Finanzinstrumente, die kreditrisikobehaftet sind und nicht im Rahmen der Statistik über Wertpapierinvestments bereits gemeldet werden.
Achtung: Es kursierte eine Falschmeldung
Die Meldung erfordert aber nur tatsächlich ausgereichte Kredite, nicht solche, die am Ende beantragt, aber nicht abgeschlossen wurden, wie das Online-Magazin risiko-manager.com noch am 11.5.2015 berichtete. Laut dessen Aussage hätte das jeweilige Institut mitteilen müssen, warum der Kredit nicht zustande kam. War es
- der Kreditnehmer, der aufgrund der Konditionen ablehnte, oder
- die Bank, die den Kredit aus Bonitätsgründen nicht ausreichen konnte.
Diese Meldung hat sich schnell als Falschinformation herausgestellt. Bankseitig abgelehnte Kredite interessieren die EZB nicht, da sie nicht in den Betrachtungspool fallen. Aus abgelehnten Krediten lassen sich keine Daten für Prognosen ableiten.
Privatkredit
Was wird gefragt?
Waren es Stand November 2015 noch 101, wurden diese auf 88 Attribute im Jahr 2019 reduziert. Die Kriterien sind bei der Deutschen Bundesbank hinterlegt. Gemeldet werden müssen unter anderem
- Name des Kreditnehmers
- Höhe des Kreditbetrages
- Zinssatz
- Tilgung
- Darlehenslaufzeit
- Art der Sicherheiten
- Verhältnis zwischen Darlehensnehmer und Kreditgeber zueinander, beispielsweise Kapitalverflechtungen.
- Verwendungszweck
Bei privaten Haushalten stehen besonders Baufinanzierungen im Fokus. Dies begründet die Deutsche Bundesbank damit, dass es sich in der Regel um die größte Einzelinvestition eines privaten Haushaltes handelt. Der Immobilienmarkt berge besondere Risiken. Baufinanzierungen sind daher für eine differenzierte und detaillierte Analyse der Finanzmarktstabilität von größter Bedeutung.
Wie erfolgt die Meldung?
Die Meldung im Rahmen des AnaCredit Projektes erfolgt bei Privatpersonen anonymisiert und wird bei der EZB mit einer ID-Nummer versehen. Eine Meldung erfolgt entweder einmalig mit Eintreten der Kreditvergabe oder bei sich ändernden Sachverhalten bei dem jeweiligen Kredit. Abhängig von den Attributen, mit denen das Darlehen versehen ist, kann die Meldung auch monatlich oder quartalsweise erfolgen. Die kreditvergebende Bank meldet das Darlehen an die jeweils zuständige Zentralbank, in Deutschland an die Bundesbank.
Die Bundesbank sendet die Daten an die EZB. Diese prüft, ob der Datensatz vollständig und verarbeitungsfähig ist. Trifft dies zu, erfolgt ein Abgleich, ob bereits eine ID zu dem jeweiligen Kreditnehmer besteht. Ist dies der Fall, erhält der Melder, also die Bundesbank, die Verarbeitungsquittung. Trifft dies nicht zu, wird eine ID angelegt, die Quittung geht dann zusammen mit der ID dem Melder zu.
Voraussetzung ist also, dass jeder Darlehensnehmer, gleich ob private oder juristische Person, eine ID-Nummer erhält, die niemals geändert wird. Nur so lässt sich beispielsweise das Kreditverhalten der Haushalte über einen längeren Zeitraum analysieren.
Das größte Problem stellte im Jahr 2018 noch die Validierung der Daten dar. Die Forderung der Bundesbank gemäß Rundschreiben 76 /2018 lautete daher, bis zum März 2019 die Regelungen bezüglich Löschung und Korrekturen bis März 2019 umzusetzen. Seit dem 31. März 2019 mussten alle ausgelaufen Datensätze und falsch gemeldete Daten rückwirkend gelöscht sein.
Wie verhält es sich mit der Datensicherheit?
Eine der wichtigsten Fragen in Zusammenhang mit AnaCredit, die vor allem Verbraucherschützer aufwerfen, ist die Frage nach der Datensicherheit. Bezüglich der personenbezogenen Daten gehen im Rahmen des Datenschutzes sowohl die Vorschriften der EU-Datenschutzrichtlinie 95/46/EC als auch das Bundesdatenschutzgesetz der Ana-Richtlinie voraus. Der Kreis der Mitarbeiter der EZB und der Bundesbank, die Datenzugriff haben, ist zwar erweitert, allerdings wurde dafür ein Zugriffsverfahren definiert, welches auf der Notwendigkeit der Informationskenntnisse basiert.
Zur Wahrung der Datensicherheit ist folgendes Szenario das Wahrscheinlichste:
Die EZB besitzt die ID und kann nur anhand dieser Kredite zu einem Datensatz zuordnen, weiß aber den Namen des Kreditnehmers nicht. Sprich, sie arbeitet nur mit einem Code. Das Institut vor Ort kennt den Klarnamen und besitzt einen ID-Schlüssel. Auf der anderen Seite kann die Bank aber nicht auf die Daten der EZB zugreifen. Damit ist ein Abgleich zwischen dem Kunden selbst und möglichen Kreditengagements bei anderen Instituten nicht möglich.
Href fehltWas genau bringt AnaCredit?
AnaCredit erlaubt es der EZB, Kreditdaten bis auf den untersten Baustein eines Kreditvertrages herunterzubrechen und statistisch aufzuarbeiten. So lassen sich aus dem Datenmaterial beispielsweise Rückschlüsse auf das Kreditverhalten ziehen, die nicht auf Bonitätsmerkmale, wie bei der Schufa, abstellen. So ließen sich beispielsweise Finanzkrisen vorhersagen, wenn es zu einem sogenannten „credit crunch“, einer überdurchschnittlich großen Zurückhaltung bei der Kreditvergabe durch Banken käme.
Gleichermaßen ließe sich auf breiter Front feststellen, wie es mit der Fremdmittelversorgung kleinerer und mittlerer Unternehmen steht. Für dieses Kreditsegment gibt es zurzeit noch kein kontinuierliches Controlling, lediglich Stichproben.
Bei AnaCredit handelt es sich um ein reines Statistik-Tool. Es ermöglicht unter anderem eine gezielte Analyse der gestellten Sicherheiten. Die EZB kann hieraus ableiten, welche Arten von Sicherheiten besonders gefragt, respektive bei Kreditnehmern vorhanden sind. Kreditrisiken lassen sich losgelöst von einer reinen finanz- und geldpolitischen Betrachtung leichter erkennen und lösen.
Während die bisherigen Meldungen an die EZB aus den aggregierten Meldungen der jeweiligen Nationalbanken bestanden, kann die EZB im Rahmen von AnaCredit jetzt auf einzelne Darlehen zurückgreifen. Es wird dadurch beispielsweise anhand von Stichproben möglich, die Praxis der Vergabe von Baufinanzierungen in Deutschland, Österreich und Portugal zu vergleichen, aber auch regionale Warnsignale zu erkennen.
Neben einer klassischen Zeitreihenanalyse ermöglicht AnaCredit auch Auswertungen über die Beziehung der Kreditnehmer und Kreditgeber untereinander hinsichtlich unterschiedlichster auswertbarer Attribute. Dies ist gerade im institutionellen Geschäft interessant, da sich hier wiederum volkswirtschaftliche Rückschlüsse ziehen lassen.
Welche Auswirkungen hat AnaCredit für den einzelnen Verbraucher?
Die Antwort fällt recht kurz aus. Für die Endverbraucher, die privaten Haushalte, hat AnaCredit keinerlei Auswirkungen. Es werden keine personenbezogenen Daten mit namentlicher Nennung gesammelt, das Verfahren ist in Bezug auf die Auswertung völlig anonym. Verbraucher „erleben“ AnaCredit indirekt durch die Politik der EZB und der Bundesbank, die sich teilweise dann auch aus den erfassten und ausgewerteten Daten ergeben wird.
AnaCredit hat für den einzelnen Verbraucher keinerlei Auswirkung.
Nach wie vor ist es das Schufa-Scoring, welches sich letztendlich auf die Möglichkeiten der Kreditaufnahme für den Endverbraucher auswirkt. Die Schufa jedoch ist bei AnaCredit völlig außen vor.
Bundesbank partizipiert ebenfalls
Die Bundesbank nutzt die über AnaCredit gesammelten Daten ebenfalls. Sie stellt die Analyse dem Ausschuss für Finanzstabilität (AFS) zur Verfügung. Dieser Ausschuss bestehend aus
- drei Vertretern der Bundesbank
- drei Vertretern des Bundesfinanzministeriums
- drei Vertretern der BaFin
- einem stimmrechtslosen Vertreter der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA)
Der Ausschuss spricht nach Analyse der Daten finanzpolitische Empfehlungen oder Warnungen auf nationaler, in unserem Fall auf deutscher, Ebene aus.
Das Vorgehen eine Ebene höher, also auf europäischer Basis, ist analog. Die EZB wertet die durch AnaCredit erhobenen Daten aus und leitet diese dann an den Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB – European Systemic Risk Board) weiter. Dieser Ausschuss spricht dann adäquat zur AFS Empfehlungen oder Warnungen für Europa aus.
Gesamteuropäische Lösung
Die bisherigen statistischen Erhebungsmethoden zur Kreditvergabe sind in den einzelnen Mitgliedstaaten über Jahre hinweg für sich gewachsen, aber auf europäischer Ebene untereinander nicht kompatibel. So kann zwar jede Nationalbank für sich sehen, wie sich die Situation rund um die Kreditvergabe darstellt, ein direkter Abgleich mit anderen Ländern ist aber nicht möglich. Dies ist vor dem Hintergrund der europäischen Binnenwirtschaft jedoch unabdingbar.
AnaCredit soll nach dem Prinzip der einmaligen Lieferung von Daten funktionieren. Die Daten der Darlehen werden zentralisiert gesammelt, und stehen dann grenzübergreifend allen Berechtigten zur Verfügung. Eine erneute Lieferung nach entsprechender Anpassung an die jeweiligen nationalen Datenbanken ist nicht mehr notwendig („collect data only once“). Primäres Ziel ist also eine effiziente und kostengünstigere Datensammlung auf einem europäischen Gesamtniveau.
Schrittweise Einführung von AnaCredit
AnaCredit wurde stufenweise eingeführt. Es gab zwar die Überlegung, aus Kostengründen einen einmaligen Rollout vorzunehmen, allerdings wäre dies in der Umsetzung schwierig gewesen. Durch die stufenweise Einführung wurde auch eine nachträgliche Optimierung des Prozesses vor der Implementierung der nächsten Stufe erreicht.
Bis jetzt wurden nur die Meldedaten für die erste Stufe verabschiedet. Jede weitere Phase bedarf einer zweijährigen Vorlaufzeit vom Zeitpunkt des Beschlusses durch den EZB-Rat bis zur Umsetzung.
Der zeitliche Ablauf für AnaCredit
Ausnahmen bei der Meldepflicht
AnaCredit sieht eine Ausnahme bei der Meldepflicht vor. Eine Meldeerleichterung soll für die Institute gelten, deren Anteil am Meldevolumen eines Landes weniger als zwei Prozent ausmacht. Die Deutsche Bundesbank sieht über 50 Prozent der hiesigen Banken von dieser Ausnahmeregelung profitieren. Allerdings muss die Bundesbank dann jährlich prüfen, ob die jeweiligen Institute immer noch unter die Zwei-Prozent-Regelung fallen.
Der Unterschied zur Meldepflicht nach Kreditwesengesetz
Der Artikel 14 des Kreditwesengesetzes (KWG) sieht eine Meldepflicht für Kredite ab einer Million Euro vor. Artikel 19, Absatz 2 KWG verlangt, dass Kreditnehmer zu Kreditnehmergruppen zusammengefasst werden. Das bedeutet, dass beispielsweise in einem Konzern nicht die Konzerntöchter einzeln erfasst werden, sondern als Konzernunternehmen zusammengefasst betrachtet werden.
Für die Bankenaufsicht ist dies durchaus wichtig, da hier auch Knackpunkte erkannt werden, die nicht nur ein Tochterunternehmen betreffen, sondern den ganzen Konzern gefährden können. Die Einzelmeldung an die EZB im Rahmen von AnaCredit hingegen bietet eine darüber hinaus gehende Einzelbetrachtung.
Während AnaCredit fast 100 Melde-Merkmale vorsieht, beschränkt sich die Millionenkreditmeldung nach KWG auf insgesamt 31 Merkmale, die auch Wertpapiergeschäfte berücksichtigen. Während das KWG nur eine vierteljährliche Berichtsfrequenz vorsieht, stellt AnaCredit bis auf wenige vierteljährliche Ausnahmen auf eine monatliche Meldung ab.
Die Anzahl der meldepflichtigen Institute fällt bei AnaCredit niedriger aus, da das Millionenkreditmeldewesen einen größeren Institutskreis erfasst, auch durch die Einbindung von Versicherungen.